Am 8.11.2022 fand die traditionelle Gedenkveranstaltung zu Ehren des Matrosenaufstand am 9.11.1918.
Die Kreisvorsitzende der Kieler SPD:
„Liebe Anwesende,
es ist eine gute Tradition der Kieler SPD und des DGB Kiel Region, in der Zeit um den 9. November an die Ereignisse dieser Tage vor nunmehr 104 Jahren zu erinnern.
Damals, als „der Sattlergeselle Ebert“ dem selbstgewissen Regenten des Deutschen Kaiserreiches „die Krone geklaut“ hat. Natürlich hat er dies nicht allein geschafft – es ging nur mit der starken und zunehmend unzufriedenen Arbeiterbewegung der Jahre vor dem und im 1. Weltkrieg. Und nur mit den Matrosen, die ihrer Armeeführung die Gefolgschaft versagten, weil sie nach vier Jahren endlich Frieden wollten.
Diese Matrosen setzten in Wilhelmshaven eine Ereigniskette in Gang, die innerhalb von Tagen zur Novemberrevolution, zum Ende des Kaiserreiches, zum Ende des Weltkrieges und zu der ersten Demokratie in Deutschland führte.
Diese mutigen Menschen wurden noch über Jahrzehnte als „Meuterer“ und „Verräter“ gebrandmarkt, nicht zuletzt von denen, die den Boden für die Nazi-Herrschaft zwischen 1933 und 1945 bereiteten und sich an ihr beteiligten.
Aber heute, heute blicken wir mit Respekt und Stolz auf die Matrosen und Arbeiter, die sich durchsetzten gegen die Kriegsbesessenheit und den Militarismus ihrer Gesellschaft. Wir blicken auf diejenigen, die dabei ihr Leben verloren, auf ihre Anführer hier in Kiel – Lothar Popp und Karl Artelt, aber auch Gustav Garbe, Otto Eggerstedt und viele andere.
Wir blicken auch auf die Frauen und Mädchen aus der Arbeiterbewegung, die ihre Männer, Söhne und Brüder unterstützten. Und wir blicken auf die Menschen, die sich zur Arbeiterbewegung zählten, obwohl sie von Bildung und Herkunft her anders hätten denken müssen/können, etwa Gustav Radbruch oder Wilhelm Spiegel.
Ihr Anliegen war es, den Krieg und das sinnlose Sterben zu beenden und Frieden mit ihren Gegnern zu schließen. Dieses Bedürfnis nach Frieden in Europa stand auch an der Wiege der Europäischen Union.
Leider gab es in den letzten achtzig Jahren immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen in Europa. Und doch waren wir naiv genug und dachten, große Kriege könnten nie wieder geschehen, nicht bei uns. Die Führungsmächte der Welt seien, so dachten wir, insbesondere angesichts des atomaren Potenzials vernünftig genug, Gegensätze auf dem Verhandlungswege auszutragen.
Der 24. Februar dieses Jahres hat uns diese Illusion genommen. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat die Illusion ihr Ende. Wieder nimmt eine europäische Macht einen großen, möglicherweise einen Weltkrieg in Kauf, um seinen imperialen Ehrgeiz zu befriedigen.
In der Folge gibt es Hungersnöte, der Klimawandel verschärft sich weiter und möglicherweise droht noch eine atomare Katastrophe durch den Einsatz „taktischer“ Atomwaffen.
Wenn ich das unsägliche Leiden und die schrecklichen Verwüstungen in der Ukraine sehe, dann denke ich, dass es richtig ist, im Interesse langfristiger Friedenssicherung die Ukraine in der Abwehr des russischen Überfalls zu unterstützen.
„Frieden schaffen ohne Waffen“ – das ist in diesem Fall leider keine Option! Vernunft ist von der russischen Führung zur Zeit offenbar nicht zu erwarten.
Daher ist es richtig, die völkerrechtswidrige Kriegsstrategie der russischen Führung zu verurteilen und wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen. Und dennoch müssen wir zugleich auf Verhandlungen bestehen, um dem Krieg ein Ende zu setzen. Die russische Führung muss endlich zu der Erkenntnis gebracht werden, dass Gewalt kein Mittel der Politik sein kann.
Aber wie erkennt es auch das russische Volk? Das russische Volk ist in der Mehrheit ganz sicher ebenso für den Frieden wie das ukrainische, das deutsche, das polnische oder das finnische Volk. Aber die russische Führung führt ja auch den Krieg im eigenen Land. Die Bevölkerung wird systematisch mit Lügen überhäuft und damit manipuliert. Andere werden gleich mundtot gemacht.
Wir sehen jetzt Bilder von Menschen, die bei Demonstrationen in Russland verprügelt und abgeführt werden. Diese Bilder zeigen uns so deutlich, wie schwer es ist, sich der eigenen Führung entgegen zu stellen, zumal einer Führung, die sich ein Nachrichtenmonopol gesichert hat und das eigene Volk mit Abschreckung und totalitärer Unterdrückung der Meinungsfreiheit regiert.
Das war vor 104 Jahren genauso in Deutschland.
Und damit wird nur umso deutlicher wie mutig die Menschen vor 104 Jahren waren. Dass sie aufgestanden sind, um den Krieg zu beenden.
Die Menschen denen wir heute gedenken.“